Verschlüsselte Öffentlichkeit: 10 Jahre politischer Aktivismus über WhatsApp

10.02.2020 | Christian Kreutz
Analoge Plattform
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Das Onlinemagazin First Monday ist seit vielen Jahren eine besondere Adresse für wissenschaftliche Analysen digitaler Phänomene. Die letzte Ausgabe von First Monday widmet sich dem 10-jährigen Jubiläum von Whatsapp und der Frage, wie Aktivisten weltweit diesen Messenger-Service für politischen Aktivismus nutzen. Sieben Studien beleuchten die weltweite Nutzung von Whatsapp und zeigen, wie neue private und geschützte Räume der Öffentlichkeit entstanden sind, ohne die moderne Online-Kampagnen nicht mehr denkbar wären. Sie zeigen aber auch, dass die digitale Gesellschaft in Zeiten von Desinformation und Radikalisierungen mit neuen Herausforderungen konfrontiert wird.

Whatsapp, 2009 von zwei ehemaligen Yahoo Mitarbeitern gegründet, ist nur eines von vielen Messenger-Tools, wie Signal, Threema, Telegram oder WeChat, das hier stellvertretend für die steigende Bedeutung dieser Chat-Plattformen untersucht wurde. Besonders die globale Verbreitung von Whatsapp ist bemerkenswert: in Malaysia sind 54% der Bevölkerung Nutzer, aber auch in Brasilien, Indien, Mexico und vielen afrikanischen Ländern hat Facebook, der Eigentümer von WhatsApp, mit diesem Tool die Nase vorn. Nach Aussage von Forschern hat eine Whatsapp-Gruppe im Schnitt nicht mehr als 10 Mitglieder und die Teilnahme -Beschränkung liegt bei 256 Mitgliedern pro Gruppe. Hier besteht auch ein Unterschied zu Telegram, wo es große Gruppen mit tausenden Teilnehmern gibt, was derzeit sehr populär zum Beispiel bei rechtsextremen Gruppierungen in Europa ist. Doch es gibt noch weitere Unterschiede zwischen den Messengern, wobei das Thema Verschlüsselung besonders herausragt. Genau darüber verfügt WeChat in China nicht, obwohl dort der Messenger im Alltag noch deutlich präsenter ist: wenn darüber zum Beispiel Arzttermine organisiert werden, im Restaurant bestellt und am Ende sogar über WeChat bezahlt wird.

Die von First Monday vorgestellten sieben Studien zeigen, wie bedeutend Whatsapp für Aktivisten geworden ist. Dabei stellte sich die Analyse als schwierig heraus, weil der Einblick in das Innenleben solcher Chats nur über Interviews oder sogenannte Scrollback-Ansätze erfolgt, bei der eine Aktivistin dem Forscher den Chat-Verlauf zeigt. Herausgekommen ist jedenfalls ein spannender Rundumblick, der auch deutlich macht, dass Whatsapp schon früh von Aktivisten intensiv genutzt wurde. So zum Beispiel bereits 2011 von spanischen Aktivisten im Zusammenhang mit den “15 Mai” -Protesten während der Wirtschaftskrise.

Through the tactical appropriation of social media and the savvy hijacking of their algorithms, the 15M movement that emerged in 2011 in Spain —the so-called Indignados — was capable not only of launching calls for action and organizing massive mobilizations but also of systematically influencing journalistic coverage and situating its claims in the media agenda. [Emiliano Treré](https:// firstmonday.org/ojs/index.php/fm/article/view/10404)

Emiliano Treré untersuchte auch den Aktivismus hinter der #yosoy132 Kampagne in Mexiko, die sich 2012 gegen die Regierung des damaligen Präsidenten richtete. WhatsApp spielte hier eine bedeutende Rolle für die Organisation der Proteste. In den Chat-Räumen fanden wichtige vertrauensvolle Diskussionen statt, und Konflikte konnten entschärft werden.

WhatsApp messages shared across multiple groups established ‘sheltered’ areas where activists could express themselves far from the pressures and anxieties of the social media frontstage, the ‘official lights of Facebook walls and pages’ Emiliano Treré

So soll Whatsapp nach Sean Gallagher 2016 für den Coup in der Türkei benutzt worden sein genutzt worden sein. Aber auch gefährdete Gruppen, wie zum Beispiel kenianische Sexarbeiter, nutzten diese private Sphäre zum Austausch und zur Unterstützung.

Anhand der Studien lässt sich der Trend erkennen, dass digitale Tools und Plattformen unterschiedlichen Taktiken dienen. Während Diskussionen und Konflikte in der digitalen Öffentlichkeit auf Twitter oder Facebook ausgefochten werden, bilden sich private Öffentlichkeiten über Messenger, die wichtige Rückzugsräume darstellen um Informationen auszutauschen, Probleme zu besprechen und Vertrauen zu schaffen. Emiliano Treré unterscheidet hier zwischen “frontstage and backstage activism”: öffentliche online Sphären wie Twitter werden zur Meinungsmache genutzt (frontstage), und Whatsapp dient als Organisations- und Koordinationstsool der internen Diskussion (backstage). Emma Baulch, Ariadna Matamoros-Fernández und Amelia Johns teilen in ihrer Studie zum brasilianischen Wahlkampf die Motivation zur Nutzung von Whatsapp in vier Kategorien auf:

  1. Austausch von Neuigkeiten und Diskussion;
  2. Vernetzung zur Solidarisierung und einer gemeinsamen Identität;
  3. zur Koordination von Aktionen zwischen Aktivisten;
  4. zur Umgehung der Staatsüberwachung.

Diese Motivation spiegelt sich auch bei früheren digitalen Technologien wider, wie Email, Foren oder Internet Relay chat, auf die seit dem Beginn des Online-Aktivismus in den neunziger Jahren zurückgegriffen wird. Einzig Punkt 4 stellt eine Wende dar, denn die bisherigen Tools waren alle nicht verschlüsselt. Es sei den man verschlüsselte selbst umständlich Emails, was aber in Foren oder E-Mail Gruppen fast nie funktionierte. Die Ende-zu-Ende Verschlüsselung von Whatsapp oder Signal bietet erstmals eine flächendeckende verschlüsselte Kommunikation, wodurch die gesendeten Inhalte nur den Teilnehmern offen stehen. Das ist ein großer Fortschritt, wenn man bedenkt, dass Email-Kommunikation bis heute dem Versand einer digitalen Postkarte entspricht und schon der Provider theoretisch alles mitlesen kann. Wie die Amelia Johns schreibt, ist diese Verschlüsselung ein wesentlicher Grund der Nutzung von Whatsapp in Malaysia, wo per Gesetz regierungskritische Kommentare verfolgt werden. Sie spricht hier von Crypto Publics als der bewussten Entscheidung, in die verschlüsselte Privatsphäre einzutauchen.

By using the term crypto-publics I am wanting to bring greater attention to the affordance of end-to-end-encryption which renders the content of messages circulating through WhatsApp groups unsearchable and untraceable to state monitoring (if not from Facebook, who do collect metadata from the platform)

Die Studien zeigen, dass weltweit Menschen bewusst in die verschlüsselten privaten Öffentlichkeiten wechseln und es eine höhere Sensibilität bezüglich staatlicher und kommerzieller Überwachung gibt. Aber der Hinweis darf nicht fehlen, dass auch eine solche verschlüsselte Kommunikation kein absoluter Garant ist, was der jüngste Hack auf das Handy des bekannten Amazon CEO Jeff Bezo zeigt. Wenn das Telefon gehackt ist und jedes geschrieben Wort vom Keyboard verschickt wird, dann hilft auch keine verschlüsselte Kommunikation mehr. Zudem betrifft die Verschlüsselung nur gesendete Inhalte und nicht die Meta-Information wer mit wem zu welcher Zeit Nachrichten ausgetauscht hat.

Vielen Regierungen weltweit missfällt diese Verschlüsselung von Messenger-Diensten und sie gehen vermehrt dagegen vor. In Russland forderte man eine Hintertür zu Telegram zu bekommen - wozu auch immer wieder Politiker in westlichen Ländern aufrufen. Oder Ägypten, wo die Messenger-App Signal blockiert wird. Dadurch ließen sich, so das Argument, extremistische Gruppierungen besser verfolgen. Kritisch wird auch die hohe Verbreitung von Falschmeldungen, Desinformationen und Hass-Inhalten über Messenger gesehen. Eine weitere Studie zeigt wie effektiv Whatsapp im brasilianischen Wahlkampf für Falschmeldungen genutzt wurde.

One of the most underlined cases of deployment of WhatsApp for the spread of fake news and propaganda is Brazil’s 2018 presidential elections.

Nach dem BBC Bericht gab es Bots, die Nachrichten an bis zu 300 000 Adressaten verschickt haben. WhatsApp hat deswegen ein globales Limit zum Teilen von Nachrichten auf 20 Empfänger gesetzt. Nur: Niemand kann sagen, ob diese Nachricht ein Notruf eines Aktivisten im brasilianischen Urwald war, der vor der Abholzung warnt, oder in Rio de Janiero versucht wurde, eine Falschmeldung loszutreten. Damit zeigt sich, wie komplex die Regulierung von neuen Technologien und sozialen Medien geworden ist.