Alternative Landvermesser – Mapping Aktivismus weltweit

11.08.2010 | Christian Kreutz

Der Artikel erschien in der Zeitschrift Kulturaustausch – Zeitschrift für internationale Perspektiven (Ausgabe Juli 2010).

In den Ländern des Südens zeichnen Hobby-Kartografen die Infrastruktur von Gegenden auf, die bislang nicht erfasst sind.

Kibera liegt in Kenia, genauer gesagt in Nairobi und gehört zu den größten informellen Stadtgebieten Afrikas. Doch auf den meisten Karten der kenianischen Hauptstadt ist Kibera nur eine leere Fläche. Obwohl dort bis zu einer halben Million Menschen auf gerade einmal 2,5 Quadratkilometern leben. Viele von ihnen haben keinen Zugang zu Wasser- und Sanitäreinrichtungen. Fehlende Beteiligung der Bevölkerung an offiziellen Infrastrukturprojekten und eine ungenaue Informationslage erschweren bislang die Verwaltung des dicht bevölkerten Stadtviertels. Gedruckte Karten sind – wenn vorhanden – nur sehr ungenau.

Das Projekt Map Kibera möchte hier Orientierungshilfe geben. Das Ziel ist eine frei zugängliche und kostenlose Karte, die möglichst umfassend das Stadtviertel mit allen lokalen Merkmalen erfasst. Umgesetzt wird dies nicht von professionellen Kartografen, sondern von der Bevölkerung selber. Mit Hilfe von GPS-Geräten erfassen so genannte Mapper Anlaufstellen zur Gesundheitsversorgung, Müllkippen oder die Orte, an denen noch Trinkwasser vorhanden ist. Die Mapper sind junge Frauen und Männer, sie kommen aus Kibera, genauer gesagt aus den 13 verschiedenen „Dörfern“, aus denen das Gebiet besteht. Aus ihrer Arbeit entsteht über Monate eine detailreiche Karte, die einen neuen Einblick auf das Leben in Kibera wirft und Probleme, aber auch potenzielle Lösungen aufzeigt. Regynnah Awino, einer der Mapper, erzählt, wie ihre Karte von der Gemeinschaft vor Ort aufgenommen wurde: „In einer Veranstaltung diskutierten wir mit einer Gruppe junger Frauen namens Binti Pamoja, die Frauen hilft, die Opfer männlicher Gewalt wurden. Wir sprachen nicht nur über das, was wir gefunden hatten, sondern auch über die Orte, die aus ihrer Sicht gefährlich oder sicher für junge Frauen sind. So haben wir nicht nur lokales Wissen bekommen, sondern auch gesehen, dass die Gemeinschaft positiv reagiert.“

Ähnliche Projekte wie in Kibera gibt es in Favelas in Brasilien. In Indien halfen solche digitalen Karten, Eigentumsrechte geltend zu machen oder Benachteiligungen bei den Wahlkreisen aufzuzeigen. Dem Erfindungsgeist sind dabei keine Grenzen gesetzt. Jeffrey Warren von Grassrootsmapping.org entwickelte einen Bausatz für kostenlose Höhenaufnahmen. Mit Hilfe eines kleinen Heißluftballons wurde eine einfache Digitalkamera in windige Höhen befördert und zeigte jüngst die Auswirkungen des Ölteppichs am Strand im Golf von Mexiko. Die Kamera machte alle paar Sekunden ein Foto und aus dem Mosaik der Aufnahmen entsteht ähnlich wie bei Satellitenbildern ein Überblick, allerdings ohne die hohen Lizenzkosten kommerzieller Anwendungen.

BY Jeferonix/Jeff Warren – CC-Lizenz BY-NC-SA

Viele dieser gewonnenen Informationen münden in das Projekt OpenStreetMap.org, das – ähnlich dem Wikipedia- Ansatz – eine freie Karte der ganzen Welt erstellen will. In Ländern wie Deutschland ist die von Freiwilligen angefertigte Karte schon detaillierter als Google Maps und bietet zum Beispiel Wander- oder Radfahrkarten zum kostenlosen Download an. Auf der Karte werden viele Dinge festgehalten, die auf kommerziellen Produkten fehlen, wie das Projekt Wheelmap.org zeigt. Dort werden seit Kurzem barrierefreie Orte in Deutschland gesammelt. Per Internet oder Mobiltelefon kann das nächste Café mit einem behindertengerechten Zugang gesucht oder selbst ein neuer barrierefreier Ort eingetragen werden.

Auch im südlichen Afrika zählen die Initiatoren von „Stop-Stock-Outs“ (Stoppt den Engpass) auf die Mithilfe von Bürgern. Gerade Menschen in Entwicklungsländern sind mit einer ungenügenden Versorgung lebenswichtiger Medikamente konfrontiert, obwohl der Zugang zur gesundheitlichen Grundversorgung gehören sollte, doch nicht selten aufgrund von Korruption behindert wird. Leidtragende können nun per SMS den Notstand vor Ort melden. Die Nachricht landet auf einer Karte im Internet und zeigt die Missstände im lokalen Vergleich.

Ein anderer Ansatz ist es, bereits vorhandene Informationen oder große Datenbestände mit Hilfe von Karten zu visualisieren. Viele Informationen enthalten Geo-Daten und können so auch geographisch dargestellt werden. Ein Beispiel ist die Seite Frankfurt-Gestalten.de, wo Themen der Lokalpolitik anschaulich in einer Karte dargestellt werden. Hier kann jeder Bürger aktuelle Infos aus der Nachbarschaft abonnieren und die Entscheidungen der Ortsbeiräte online diskutieren. Eine stimmige Kombination von Informationen und Karten ist immer vonnöten.\

Dabei gehen Aktivisten auch traditionelle Wege. Mitarbeiter des Cedar Grove Institute for Sustainable Communities interviewten Haushalte in der Kleinstadt Zanesville City in den USA, nachdem es dort jahrelang zu Beschwerden von Anwohnern über die unzureichende Wasserversorgung kam. Nach der Befragung wurde eine Karte erstellt, die die ungleiche Wasserversorgung eindeutig offenbarte. Benachteiligt waren besonders Stadtteile mit einem hohen schwarzen Bevölkerungsanteil.

Doch Karten sind nicht per se transparent, in der Geschichte der Kartographie dienten sie auch oft einseitigen Machtansprüchen oder wurden zur Propaganda missbraucht. Zudem birgt die Veröffentlichung von bestimmten Information auch eine Verletzung der Privatsphäre. Die Konsequenzen einer Veröffentlichung sollten deshalb vorab auch mit den Betroffenen diskutiert werden. Auf jeden Fall müssen die Daten möglichst vollständig anonymisiert werden. Transparenz kann etwa auch dann kontraproduktiv sein, wenn dadurch das indigene Wissen von Indianerstämmen kommerziell ausgebeutet werden kann (Rohstoffe). Doch durch Karten können sie eben auch ihre Gebietsansprüche besser geltend machen.

Gerade für die wachsende Datenfülle bieten digitale Karten einen Weg, Komplexität zu reduzieren und Probleme von verschiedenen Blickwinkeln aus zu betrachten. Sie bieten ein spannendes Potenzial zur Informationsvermittlung, besonders wenn Bürger selbst Daten zu Orten beitragen und einfach eigene Karten umsetzen können, wie es vormals nur Unternehmen oder Organisationen möglich war. Obwohl dieser digitale Karten-Aktivismus (Maptivism) erst in den Anfängen steckt, zeigt er eine neue Form des Bürger-Engagements für mehr Transparenz und Beteiligung.